Die Systeme fahren nicht mehr richtig hoch, früher funktionierende Teile fallen aus, die Verbindungen zwischen Nervenbahnen funktionieren nicht mehr richtig: bei immer mehr Menschen zeigen sich die ersten Anzeichen einer Demenz am Arbeitsplatz. Auf Effizienz gedrillte Unternehmen haben Schwierigkeiten, mit den Störungen älterer Arbeitnehmer umzugehen
Brigitte hat es schon wieder vergessen. Sie arbeitet in einem Call-Center und verkauft Kosmetika an Bestandskunden. Erfolgreiche Gespräche führt sie noch. Aber es hapert immer mehr daran, ihre Abschlüsse zu dokumentieren.
Kein Wunder, denn das System ist nicht einfach. Kauft ein Kunde ein Produkt direkt am Telefon, wird eine Bestätigung über die Bestellung gesendet. Widerspricht der Käufer nicht, wir abgebucht. Dann erst wird die Ware versendet. Der sicherste Weg, findet das Unternehmen. Aber nur einer von vielen.
Die Zahlungsarten sind deswegen bis zur Unverständlichkeit abgekürzt. Jeder neue Telefonist hat Schwierigkeiten, sie zu verstehen. Aber Brigitte sitzt schon seit vier Jahren am Telefon. Noch vor zwei Jahren dokumentierte sie tadellos. Heute muss sie immer wieder ihre Kollegen fragen. Die sind genervt, helfen aber.
Schwierigkeiten bei der Beurteilung, Unsicherheit bei Entscheidungen
„Da schleicht sich langsam eine Demenz ein“, glaubt Torben. Bei einer routinemäßigen Qualitätskontrolle sind ihm Brigittes Schwierigkeiten aufgefallen. Torben hat selbst 5 Jahre telefoniert und einen guten Draht zu den Mitarbeitern. Jetzt sitzen bei der wöchentlichen Besprechung alle Mitarbeiter der Produktion zusammen und beraten, was zu tun ist. Auf die Frage, ob er sich seiner Diagnose sicher sei, zuckt Torben mit den Schultern. „Ich bin kein Arzt“, sagt er.
Eigentlich ist es eine gute Nachricht: wie werden immer älter. Unsere Lebenserwartung steigt. Doch auch immer mehr ältere Menschen müssen für einen Teil ihres Lebensunterhalts arbeiten. Brigitte ist 76. Auch sie braucht das Geld, um ihre Rente aufzubessern. Die promovierte Juristin hat den größten Teil ihres Berufslebens als Hausfrau damit zugebracht, drei Kinder großzuziehen. Mit Mitte 50 trennt sie sich von ihrem Mann. Seitdem lebt sie alleine. Ihre „Vergesslichkeit“ teilt sie mit vielen Altersgenossen. Schon 6% der über 75jährigen leiden an Demenz. Bei den über 80jährigen sind es sogar mehr als 13%.
Überlagerungen, Distanz, Misstrauen, Gereiztheit. Niemand in der Produktion wollte eine Entscheidung treffen. Nun sitzen Geschäftsführung und Betriebsrat zusammen. Grün ist man sich nicht. „Sie ist der Arbeit nicht mehr gewachsen. Wie müssen uns von ihr trennen.“, ist die entschiedene Ansage des Geschäftsführers. Wider Willen stimmt der Betriebsrat zu. „Wir müssen ihr aber die Möglichkeit geben, sich behandeln zu lassen. Ansonsten ist sie allein und fällt ins Nichts“, hält er dagegen.
Er setzt durch, dass mit Brigitte ein Gespräch geführt wird, in dem ihr eine Reihe von Handlungsmöglichkeiten eröffnet werden können. Niemand weiß, ob Brigitte das Gespräch annehmen wird. Ob sie wirklich dement ist, kann niemand beurteilen. Ob ein Gespräch Brigitte helfen wird oder ob es ihre Situation verschlimmert, kann niemand voraussehen. Alle sind unsicher. Sicher ist nur eins: Brigitte ist raus.
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Das Ergebnis eines Schreibworkshops für Community-Reporter am 11. und 12. April 2014. Der Artikel beruht auf realen Ereignissen, die für den Artikel komprimiert und verfremdet wurden.
Hallo Frank,
Hallo Frank,
Danke für den interessanten Artikel.
Das ist echt bitter und macht nachdenklich. Da kann man sich nur wünschen, dass man selbst im Rentenalter nicht in so eine Situation kommt.
Gruß
Ute